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Gnadenloser Ausverkauf im Paradies

Ich bin auf Sansibar. Ich bin im Paradies. Alle die davon wissen, oder die es per Facebook erfahren haben reagieren mit „Wow! Das hört sich toll an, ist bestimmt paradiesisch...“. Ja, die Insel Sansibar hat schon vieles von unseren Vorstellungen vom Paradies...

 

Über die Umstände jedoch, über die ich hier schreiben möchte (das Thema treibt mich wirklich um, seit ich auf der Insel bin!), sind mehr als ein Wehrmutstropfen. Es ist der Beginn vom Schlussverkauf im Paradies! Oder noch treffender: Es ist der Beginn vom Verkauf des Paradieses an sich! 

 

Ich sitze im Norden der wunderschönen Insel, in Nungwi, und fühle mich ein wenig wie auf einer Gefängnisinsel. Die Lage ist fatal: Ich kann von meinem Balkon in kristallklares Wasser, in verschiedenen Türkis- und Blautönen schimmernd, und auf puderzuckerartigen weißen Sand schauen. Der Zugang zum Strand ist keine zwanzig Meter von meinem Zimmer entfernt. 

 

Nun gibt es an jedem Strand der Welt Kokosnussverkäufer und den ein oder anderen, der versucht eine Schnorcheltour zu verkaufen. Hier im Norden Sansibars jedoch ist es unmöglich, dreihundert Meter Strand entlang zu gehen, ohne ALLES angeboten zu bekommen: Die Tauchtour, die Fahrt in ein Massaidorf, BBQ am Traumstrand, T-Shirts, selbstgemalte Bilder, Marihuana und Massagen. Penetrant und von früh morgens bis weit nach Sonnenuntergang. Die Strände sind fest in der Hand von sogenannten Beach-Boys (auch das hört sich ja irgendwie cool und nach Californien an) und Fake-Massai (mein Begriff). Das sind einfach Männer von Sansibar oder vom Festland oder gar aus anderen Ländern, die in Massai-Kleidung Touristen neppen.

 

Und diese sind, sorry, dumm genug, um für einen Schnappschuss mit einem „stolzen Massai“ Geld zu geben. Dass der stolze Krieger unter seinem klassisch roten Umhang Nike-Turnschuhe trägt (die genauso gefaked sind, wie er selbst) und eine neongrüne Sonnenbrille (kein Spaß) wird einfach mal sportlich ausgeblendet. Daheim wird dann stolz der Kontakt zu Einheimischen, ja fast noch wilden Kriegern, herumgezeigt. Mir wird schlecht...

 

Wer sich ein wenig mit seinem Gastland oder gar mit den Massai beschäftigt hätte, wüsste, dass DAS eben keine Mitglieder des stolzen Stammes sind. Aber ist ja auch irgendwie egal!

 

Die „Besetzung“ (man möge mir diese bewusste Wortwahl verzeihen) der öffentlichen und somit nicht kontrollierbaren Strände durch die von mir beschriebenen Zeitgenossen ist massiv und deren Ansprachen sind extrem penetrant. Die Männer sind immun gegen freundliche und nicht mehr ganz so freundliche Absagen. 

 

Es gibt genug Menschen, die zwei Wochen Traumurlaub auf Sansibar buchen und hierfür viel Geld ausgeben. Ich an deren Stelle würde mich um meinen Urlaub geprellt sehen!

 

Ich selbst habe den Vorteil und maße mir deshalb diesen Artikel an, dass ich vor meiner Landung auf der schönen Insel, im Vorjahr und dieses Jahr über sieben Wochen Ostafrika-Erfahrung sammeln konnte. Ich kann unterscheiden, welche Aktion der puren Verzweiflung und Armut geschuldet ist und welche Idee auf reinen Abzockgedanken basiert. Meine Devise auf dem Festland war und wird es immer sein, meine Souvenirs soweit irgend möglich eben nicht im klimatisierten 2000qm großen Touristenshop (oft von Indern geführt) sondern beim Händler am Straßenrand zu kaufen. Mit diesem kann ich (bitte ebenfalls mit viel Gefühl!) handeln und einen Beitrag zu seinem Überleben leisten. Nirgends auf dem Festland, wirklich nirgends, hatte ich das Gefühl, dass Nepp eine grundsätzliche Einstellung ist. Hier, im Paradies, habe ich genau dieses Gefühl! 

 

Sorry, Sansibar. Du kannst deutlich mehr.

 

Nun aber noch kurz ein paar Gedanken zu den Ursachen. Es wäre zu kurz gesprungen, mit den Fingern auf die Jungs am Strand zu zeigen.

 

Wie man so schön sagt, sind auch hier „zwei schuld“ am Schlamassel. Die hauptsächliche Ursache jedoch setzen wir Westler. Den Bazillus des schnellen Geldes schleppen wir in solche Länder. Ich habe zahllose Situationen in Tansania, Kenia und Uganda erlebt, die mich sprachlos machten. Wo bitte schön bleibt die Intelligenz und ein wenig Gefühl für die Situation in Ländern, in denen wir nur Gast sind. Überlegenheitskomplexe, komplette Gedankenlosigkeit, krankhaftes Zurschaustellen der eigenen finanziellen Möglichkeiten, Arroganz und die völlig Unfähigkeit auch nur zu spüren, dass ich im jeweiligen Land verdammt noch mal nur Gast bin – das ist die fatale Mischung, die wahnsinnige Schäden anrichtet und Ausverkäufe dieser Art erst ermöglicht.

 

Ich sitze beim Schreiben dieser Zeilen, im Cafe des schönen Hotels (mit dem eigentlichen Traumstrand) – in Sicherheit. Ich ärgere mich. Nicht darüber, dass mir mein Strandaufenthalt vermiest wird. Sondern darüber, wie wir uns diese Welt machen. Ich bin mir sicher, dass 98% der Besucher diesen wunderbaren Eckchens Erde, sich ebenso an den Umständen stören oder sich gar aufregen. Ich bin mir jedoch ebenso sicher, dass von diesen ebenso 98% nach Hause fliegen und sich nicht die Frage stellen, ob sie ihren Teil dazu beigetragen haben!  

 

In Reiseführern und im Internet wurde jeweils auf diese Umstände hingewiesen – immer jedoch ein wenig romantisch verklärt. Immer mit dem Hinweis, dass die Armut viele Menschen zu solchem Handeln zwingt. Das mag bei einigen stimmen. Ansonsten sind solche weichgespülten Erklärungsversuche schlicht Bullshit!

 

Bei der absoluten Mehrheit der Fake-Massai und Beach-Boys jedoch ist es einfach eine pure Geschäftsidee. Eine Idee die über alles andere gestellt wird. Über Traditionen, über die langfristigen Möglichkeiten eines solch wunderbaren Ortes, über den eigenen Stolz, über die Ehre der sonst im Land so wichtigen Familien- und Stammesverbände. Was einzig zählt ist der schnelle Dollar, oder tansanische Schilling – egal welche Währung. Für jegliches Geld wird am Ende alles verkauft. Auch die eigene Seele, auch der eigene Stolz. Das habe ich, wie bitter die Armut auch immer war, auf dem Festland so nirgends wahrgenommen.

 

Die Ursache hat, wie so oft, die westliche Welt gesetzt. Und mir wird auch heute übel, wenn ich beobachte, wie sich „Westler“ in armen Ländern bewegen und letztlich Umstände wie diesen Ausverkauf mit jeder ihrer Dummheiten erst ermöglichen. Wenn sie selbst diese Umstände nicht mehr auszuhalten bereit sind, wird im nächsten Urlaub halt ein „anderes Paradies“ gebucht. Nachhaltigkeit geht anders – und wo bitte steht geschrieben, dass man im Urlaub das Hirn ausschalten muss?

 

Mein Fazit: Tansania ist wunderbar. Die Menschen sind sehr herzlich und offen. Sie erkennen, dass in jedem Touristen eine große Chance für sie selbst und ihr Land steckt. Sansibar ist ebenso traumhaft wird durch uns aber bereits billig verramscht.

 

Meine Aufforderung: Macht Euch ein wenig Gedanken wohin Ihr im Urlaub reisen wollt. Bereitet Euch vor. Ihr seid es Euren Gastgebern schuldig! Lest zumindest einen Reiseführer. Das Reisen macht so viel mehr Spaß und das Einlesen erweitert den eigenen Horizont! Und last but not least: Schaltet generell im Umgang mit anderen Menschen und insbesondere wenn Ihr irgendwo Gast seid Euer Hirn ein – das solltet Ihr letztlich Euch selbst schuldig sein!

 

Wenn Ihr all das nicht wollt oder könnt, bleibt bitte zuhause. 

 

Steffen

22. Oktober 2018 auf Sansibar