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Und, wie viele Leben hast DU noch?

Und, wie viele Leben hast DU noch?

 

Es ist Anfang September 2019. Ich bin wieder einmal in der Uniklinik in Tübingen. Seit meiner Krebsdiagnose vor nunmehr dreieinhalb Jahren bin ich regelmäßig hier zur sogenannten Erhaltungstherapie und zu Kontrolluntersuchungen.

 

Das hört sich schlimm an? Brutal? Du stellst Dir die Frage, wie Menschen so etwas aushalten können? Wie „man“ mit einem solchen Schicksalsschlag umgeht? Wie man mit der Gewissheit einer solchen Krankheit weiterhin positiv eingestellt leben kann?

 

Ich verrate Dir etwas! All das gelingt mir seit der erschütternden Diagnose und der horriblen Prognose, ohne sofortigen Therapiebeginn nur noch wenige Monate leben zu dürfen, teilweise besser als vor meiner Krankheit. 

 

Ich gebe zu - das hört sich im ersten Moment merkwürdig an, unglaubwürdig, nicht nachvollziehbar und vielleicht unterstellt der ein oder andere mir bei einer solchen Aussage auch „Schönrednerei“. Oder gar dass ich nicht respektvoll genug mit dem heiklen Thema „Krankheit und Tod“ umgehe und damit auch respektlos anderen Kranken gegenüber.

 

Das sehe ich natürlich anders. Um es dem interessierten Leser jedoch zu erklären und gegebenenfalls dem ein oder anderen Besucher von www.onelife-liveit.de einen positiven Denkanstoß mitzugeben, hole ich etwas aus.

 

Ich sehe seit meiner Diagnose und der dadurch zwangsläufigen Erkenntnis der eigenen Endlichkeit viele Dinge differenzierter. Und wenn ich schreibe „ich sehe“ meine ich das in diesem Fall wörtlich...

 

Ich sehe Menschen, die ihr einziges Leben verschenken. Ich sehe Menschen, die Tag um Tag ihres einzigen Lebens verschenken – in unglücklichen Beziehungen, energiesaugenden Jobs, wertlosen Gesprächen, stundenlangem Fernsehen und mit „virtuellen“ Freunden (was für eine Wortkombination!).

 

Ich sehe Menschen, die nicht mal den Versuch unternehmen, aus der stressigen Tretmühle des Alltags auszubrechen. Die schon früh morgens auf dem Weg zur Arbeit während sie im Auto telefonieren, ihren einzigen Körper mit Nikotin vergiften.

 

Ich sehe Eltern, die schon am Vormittag mit ihren adipösen Kindern im amerikanischen Fastfood-„Restaurant“ sitzen und nicht verhindern, daß Ihre Kids noch mehr Fett, Salz, Fleisch von medikamentenverseuchten Tieren und Zucker in ihre bereits kranken Körper stopfen.

 

Ich sehe bei allem Überfluss die tägliche und ungesunde Hetze nach noch mehr Geld. Ich sehe den damit zusammenhängenden Neid, die unglaubliche Gier, die Angst vor Verlust und die krankhafte die Sucht nach Anerkennung. 

 

Dann sehe ich hier in der Klinik Krebspatienten, die verzweifelt um ihr einziges Leben kämpfen. Junge Krebskranke mit der puren Verzweiflung im Gesicht. Angehörige mit Tränen in den Augen. Trauernde Familien, deren Liebster gerade gestorben ist. Ich sehe kleine Kinder, die vom Krebs ausgemergelt im Rollstuhl sitzend von ihren gezeichneten Eltern um die Klinik geschoben werden. 

 

Ich sehe Ärzte und Krankenschwestern, die um das Leben von Patienten kämpfen, trösten, gut zusprechen, gestresst sind, zu wenig Zeit für den einzelnen Kranken haben, sich kümmern, manchmal aber sicherlich den ein oder anderen schweren Fall innerlich bereits aufgeben.

 

Ich sehe auch Menschen die sich selbst aufgeben. Die keinerlei Zuversicht oder Kraft für weitere Schlachten gegen die Krankheit mehr haben. Ich sehe diese Menschen in den Gängen der Onkologie sitzen, mit Mundschutz aber ohne jeden Mut. Ich sehe diese Todkranken vor der Klinik sitzen und rauchen – weil Sie jegliche Hoffnung aufgegeben haben. Weil keine Kraft mehr vorhanden ist, sich der Krankheit entgegen zu stemmen.

 

Und dann sehe ich wieder Dich. Du jammerst, weil Du morgens aufstehen und zur Arbeit gehen musst. Diejenigen die ich heute in der Klinik gesehen habe und die sich mit dem eigenen Tod auseinandersetzen müssen, würden gerne jeden morgen aufstehen und zur Arbeit gehen.

 

Ich sehe Dich, wie Du seit Jahren wertvolle Lebenszeit verschenkst, in einer Beziehung die schon lange keine mehr ist! Wie lange, glaubst Du denn noch zu leben?

 

Ich sehe Dich, wie Du Deinen einzigen Körper mit voller Absicht und in vollem Bewusstsein ruinierst, indem Du Dich miserabel ernährst, rauchst, zu viel Alkohol trinkst und jährlich zwei Kilogramm Fett mehr ansetzt. Du merkst, dass Du schwächer wirst, weil Deine Muskeln abbauen. Du merkst, dass Du beim Treppensteigen schneller außer Atem kommst, weil Deine Lunge immer weniger leistungsfähig ist. Du merkst dass Dich Dein koffein- und stressbedingtes Schlafdefizit langsam umbringt... Und Du änderst: NICHTS.

 

Du gehst, wenn an irgendeiner Deiner Baustellen im geschundenen Körper nichts mehr geht, zum Arzt. Glaubst Du wirklich daran, dass der alles mit einer Krankschreibung und ein paar Tabletten richten wird? Das glaubst Du nicht im Ernst, oder?

 

Ich lebe schon immer positiv, intensiv, emotional und impulsiv. Ich arbeite und bewege mich gerne. Ich bewege gerne Dinge, bin kontaktfreudig und voller Energie und Lebenslust. 

 

All diese Eigenschaften wurden nicht durch meine Krankheit ausgelöst – sondern nur noch verstärkt. 

 

Warte aber bitte Du nicht auf den „großen Gong“ oder sonst einen externen Weckruf. Auf den heilbringenden Schicksalschlag, der Dich alles anders machen lässt.

 

Denn Dein Schicksal steht bereits jetzt fest: DU WIRST STERBEN. 

 

Deine Strategie MUSS deshalb lauten: LEBE - JETZT!

 

Dieser Test klingt düster für Dich? Dann lies ihn vielleicht noch einmal durch. Und noch einmal. Vielleicht spürst Du beim zweiten oder dritten Lesen, daß es ein lustvoller, lebensbejahender, durch und durch positiver Aufschrei ist. Die gebrüllte Aufforderung an Dich, DEINE Verantwortung für DEIN einziges Leben endlich anzuerkennen und zu übernehmen!

 

Meide was Dir schadet. Verbinde Dich mit dem was Dir gut tut und was Dich wirklich leben lässt. 

 

Wenn Dir etwas weht tut oder Dich langweilt – Finger weg! Wenn Dich etwas neugierig macht, Du etwas spannend findest oder Du das Leben vibrieren spürst – bitte mehr davon!

 

 

Ein dankbarer Steffen

Am 03.September 2019 aus der Onkologie in Tübingen...